1. Reisevorbereitung
Wenn es im Folgenden um Reisevorbereitung (und später um Reisegewohnheiten und Reisegefährten) geht, dann bezieht sich das in der Regel auf Freuds große Sommerreisen zwischen 1895 und 1913. Das waren mit wenigen Ausnahmen Reisen nach Italien, die in keiner Weise mit beruflichen Dingen wie Kongressen oder Patientenbesuchen zu tun hatten. Diese Reisen waren Kulturreisen und hatten im wesentlichen das Ziel, antike Stätten, Architekturdenkmäler, Museen usw. zu besuchen.
Für Freud waren die Sommerreisen der Höhepunkt eines jeden Jahres. Er bereitete sich immer lange und gründlich auf sie vor und spielte verschiedene Varianten durch. Gewöhnlich verbrachte er einen Teil des Sommers mit seiner Familie in einem Standquartier in den Alpen und trennte sich dann von ihr für eine größere Rundreise, meistens durch Italien. Auf diesen Reisen begleiteten ihn sein Bruder Alexander oder seine Schwägerin Minna, manchmal auch Sándor Ferenczi und in seltenen Fällen seine Frau Martha.
Die Vorbereitung auf diese Reisen hatte mehrere Aspekte. Zuerst mußte
ein Standquartier für die Familie ausfindig gemacht werden. Dabei
half häufig Alexander. Pfingsten 1901 suchten Freund und sein Bruder
in Vorarlberg nach einem Sommerquartier und im Jahre 1905 war der Osterausflug
auf den Ritten und ins Grödnertal diesem
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Ziel gewidmet. Allerdings verbrachte Familie Freud den Sommer 1905 dann doch nicht in Südtirol, sondern in Altausee. Vielleicht sind Sigmund und Alexander aber bei der Suche auf Klobenstein aufmerksam geworden, wo Freud und Martha im September 1911 ihre Silberhochzeit feierten. Auch Ferenczi half einmal bei der Suche nach einem Sommerquartier.
Ein weiterer Punkt der Reiseplanung war die Festlegung der Reiseroute,
der Daten und der günstigsten Verbindungen. In den ersten Jahren,
d.h. zwischen 1895 und 1905 war Alexander der geeignete Mann für die
technische Seite der Reisen. Er war dank seiner Arbeit als Redakteur des
"Allgemeinen Tarifanzeigers" und der Erstellung des "Eisenbahnstationsverzeichnisses"
(A. Freud 1897) bestens über Streckennetz, Fahrpläne und Fahrpreise
der Eisenbahnen informiert.13 Später
übernahm dann Freuds Sohn Oliver (ebenfalls Ingenieur wie Alexander)
diese Aufgabe.
Der
inhaltlich wichtigste Teil der Reisevorbereitung war aber wohl das Studium
von Reisehandbüchern und von Literatur über Gegenden und Orte,
die man zu besuchen beabsichtigte. Das war Freuds Domäne. Besonders
gründlich bereitete er sich auf den Besuch von Stätten der Klassischen
Antike vor, speziell auf die Besuche von Rom, Pompeji und Paestum. Schon
im April 1897, also reichlich fünf Jahre bevor Freud tatsächlich
seinen ersten Besuch Pompejis verwirklichen konnte, gesteht er Fließ,
daß er in freien Stunden die Straßen von Pompeji studiere (Freud
1986, S. 250). Zwei Wochen später hatte Freud dann einen Traum, in
dem das Wort "via" vorkam. Er interpretiert es folgendermaßen: "Via
(Straßen von Pompeji, die ich studiere), ... also unsere Reisegespräche."
(Freud 1986, S. 251; Abb. 2: Via Mercuri in Pompeji (S.46)).
Und im Mai 1901 schreibt er: "Ein Orchideenkorb spiegelt mir Pracht und
Sonnenglut vor, ein Stück Mauer
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aus Pompeji mit Zentaur und Faun versetzt mich in das ersehnte Italien." (ebenda, S. 484). Informationen über Pompeji bekam Freud hauptsächlich aus folgenden Werken:
Johannes Overbeck: Pompeji in seinen Gebäuden, Alterthümern und Kunstwerken dargestellt. 4. Aufl. Leipzig: Engelmann 1884.Besonders das Buch von Overbeck scheint Freud gründlich gelesen zu haben. Vermutlich hat er auch die Straßen Pompejis anhand des dem Buch beigefügten großen Planes studiert. Außerdem behandelt das 2. Kapitel des Hauptteils speziell die "Straßen und Plätze Pompejis".Carl Weichardt: Pompeji vor der Zerstörung. Reconstructionen der Tempel und ihrer Umgebung. Leipzig: Koehler 1897.
August Mau: Pompeji in Leben und Kunst. Leipzig: Engelmann 1900.
Noch mehr Zeit als Pompeji widmete Freud aber der Vorbereitung seiner Romreisen. Hier spielte natürlich auch seine "neurotische Romsehnsucht" (Freud 1986, S. 309; vgl. dazu auch Teil 3 dieses Buches) eine wichtige Rolle. Diese Sehnsucht wurde Ende der neunziger Jahre so quälend, daß Freud in seiner Freizeit kaum etwas anderes tun konnte, "außer etwa die Topographie von Rom zu studieren." (ebenda, S. 363). Die besten Voraussetzungen dafür bot der 3. Band des von Iwan Müller herausgegebenen neunbändigen "Handbuchs der klassischen Altertums-Wissenschaft" (Müller 1887-1890), das Freud in seiner Bibliothek stehen hatte.
Die 3. Abteilung dieses 3. Bandes war eine von Otto Richter erarbeitete
"Topographie der Stadt Rom" . Aber Freud konnte noch auf etwa 30 weitere
Monographien über Rom zurückgreifen, unter ihnen allgemeine Werke
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wie Eugen Petersens "Vom alten Rom" (Petersen 1898), aber auch spezielle Veröffentlichungen wie Christian Huelsens Bericht über "Die neuesten Ausgrabungen auf dem Forum Romanum" (Huelsen 1905).
Allerdings konnte Freud natürlich nicht mit einem Stapel Bücher auf Reisen gehen. Er wählte deshalb als Reisehandbuch den "Baedeker", schon damals das renommierteste der Welt. Im September 1905 schrieb er aus Rapallo an seinen Bruder Alexander, der ihn bis dahin auf acht Reisen begleitet hatte: "Man kommt ... zu nichts, die himmlische Sonne und das göttliche Meer Apollon und Poseidon sind Feinde aller Leistungen. Ich merke, was uns sonst noch aufrecht erhalten, war das bißchen ernste Pflicht, mit dem Baedeker in der Hand neue Gegenden, Museen, Paläste, Ruinen zu verifizieren. (Freud 1960, S. 246). Leider sind die Baedeker, mit denen Freud reiste, nicht in den Beständen seiner Bibliothek erhalten. Möglicherweise gehörten sie Alexander, und es müßte nachgeprüft werden, was aus dessen Bibliothek geworden ist.
Anmerkungen
13 Laut Freud galt Alexander als "erste
Autorität im österreichischen Tarifwesen" (Freud 1986, S. 421).