Freud, Sigmund
Unser Herz zeigt nach dem Süden. Reisebriefe 1895-1923. Herausgegeben von Christfried Tögel unter Mitarbeit von Michael Molnar. Berlin: Aufbau-Verlag 2002.

Freuds große Sommerreisen, meist in Begleitung des jüngeren Bruders Alexander und der Schwägerin Minna Bernays unternommen, begannen 1895 und endeten nach der Diagnose seiner Krebserkrankung im Jahre 1923, als er zum siebenten- und letztenmal Rom besuchte. Mit der Konsolidierung seiner psychoanalytischen Praxis sah sich der Vierzigjährige endlich in der Lage, seiner »glühenden Sehnsucht, zu reisen und die Welt zu sehen», ein Ziel zu setzen. Im August/September, wenn seine Frau und die sechs Kinder ein Feriendomizil bezogen hatten, trennte er sich für zwei bis vier Wochen von ihnen und brach zur Erkundung von Städten und Landschaften auf. Die meisten Reisen führten ihn nach Italien, das ihn faszinierte wie kein anderes Land. Vor allem hatten es ihm die Toskana und Sizilien angetan und natürlich Rom, das in seinem Denken und Fühlen einen besonderen Platz einnahm.
Das hier zum erstenmal nach den Handschriften veröffentlichte Material besteht aus 189 Post-, Ansichts- und Briefkarten sowie aus 56 Briefen, die vor allem an Frau und Kinder gerichtet sind. Hinzu kommt ein kleiner, völlig unbekannter Freud Text, »Bemerkungen über Gesichter und Männer«, notiert nach dem Besuch der National Portrait Gallery in London. Ein Großteil der Abbildungen stammt aus Freuds eigener Sammlung von drucken und großformatigen Fotos. 

(aus dem Klappentext)

Aus Besprechungen:
 

Die Welt (16.3.2002)

Was bedingt nun den seltsam bewegenden Reiz dieses sinn- und geschmackvoll illustrierten Buches? Es ist der Ton des Briefschreibenden - Musikalität und Menschenkenntnis, gemischt mit Humor und einer humanen Skepsis. "Sehr viel Talent zum Lebensgenuss kommt in späten Jahren bei mir zum Vorschein", bekannte Sigmund Freud 1908, schränkte jedoch sofort ein, als wolle er den Neid der Götter nicht provozieren: "Im ganzen ist es ja die Ruhe vor dem Sturm."

Ulrich Weinzierl
 

Süddeutsche Zeitung (21.3.2002)

Wenige Forscherleben sind besser dokumentiert – und dennoch zeigen diese Briefe einen Freud, von dem nur Spezialisten und Blasierte behaupten werden, sie hätten ihn so schon gekannt. Den anderen winkt ein Leseabenteuer im Bücherfrühling, denn Freud auf Reisen ist eine hinreißende Entdeckung.

Ulrich Raulff
 

Neue Zürcher Zeitung (27.3.2002)

Dem Genussmenschen Freud umso näher kommt die bibliophil schöne Ausstattung des Bandes mit zahlreichen zeitgenössischen Ansichtspostkarten, tunlichst den von Freud verschickten, Karten und Itinerar. Die Leser können den Band mit Gewinn und Freude als neuen Cicerone nutzen.
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Das eigentliche Resultat der Edition, durchaus ein Ereignis, ist indes dieses: Man wird mit einem ganz anderen Freud bekannt als demjenigen, den man zu kennen glaubte. Das bisherige Freud-Bild wird bedeutend erweitert, auch revidiert.

Ludger Lütkehaus
 

Kurier (30.3.2002)

Einen Freud, wie ihn kaum jemand kennt, zeigen die soeben erschienenen Reisebriefe (1895–1925) an seine Familie daheim – eine überraschende Entdeckung und ein Leseabenteuer.
 
 

Tagesspiegel (1.6.2002)

Freuds Briefe ... zeigen den Gelehrten von einer bislang unbekannten Seite. Für die nächste Italienreise gehören Sie ins Gepäck.

Christina Tilmann
 

Frankfurter Rundschau (8.6.2002)

Im Rahmen des Freudschen Briefcorpus, das ein noch längst nicht voll erschlossenes zweites Oeuvre bildet, gehören die vorgelegten Texte zur Gruppe der Familienbriefe. Die zeigen Freud im Vergleich zu anderen Briefen, etwa an seine Schüler, nicht so sehr konzentriert, gezügelt und zur Größe stilisiert, sondern unangestrengt, lebhaft, alltäglich. Nirgends fließen ihm so viele jiddische Ausdrücke aus der feder. Und doch spürt man auch hier die eigenartige Intensität und Sensitivität des Erlebens - eine Hochspannung, als ob für diesen mann jeder Moment erfüllter gewesen wäre als für andere, Das ist es dann wohl, was ihn von unsereinem unterscheidet, auch wenn er wie wir auf Reisen geht.

Michael Schröter
 

Die Zeit (13.6.2002)

Wer also von der Lektüre dieses Bandes Reisebriefe erwartet, in denen tiefsinnige Reflexionen über Mensch und Kultur angestellt und idyllische Landschaften fein stilisiert nachgezeichnet werden, der wird, bis auf wenige Ausnahmen, enttäuscht. Wen hingegen zugespitzte Formulierungen („Dort liegt das Hundenest u der Affenkäfig Neapel“) und wundersame Verknüpfungen („Vesuv raucht nicht“ – „Wir rauchen hier englische Pfeifen“) erfreuen, der wird reichlich belohnt und erhält obendrein gelehrsame Auskunft durch den Herausgeber Christfried Tögel, der auch die vielen zeitgenössischen Postkartenansichten ausgewählt hat, die dem Band beigegeben sind. Wer solchen Witz zu schätzen weiß, wird auch an Freuds Schwägerin Minna Gefallen finden, die – als Begleiterin auf einer Reise – an Freuds zurückgebliebene Ehefrau schrieb: „Wir wären also glücklich so weit, jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen, was ja Sigis Ideal ist.“

Bernd Nitzschke
 

La Repubblica  (11.4.2002)

Sigmund Freud gode di ogni cosa, del sole e delle bellezze naturali, del vino e dei cibi italiani che trova 'divini'; si lascia prendere dalla pigrizia, dalla voglia degli acquisti, e di scherzare. Un Freud, insomma, in vacanza, strepidosamente edonista, molto spiritoso: così appare nella ricchissima raccolta di lettere 'di viaggio', per lo più inedite.
Unveröffentlichte Privatbriefe: Freud genießt alles, die Sonne, die Natur, den Wein und das italienische Essen, das er 'göttlich' findet; er faulenzt, bummelt und scherzt. Ganz und gar hedonistisch und humorvoll, so erscheint er in dieser reichhaltigen Sammlung."

Paolo Sorge
 

TAZ (15/16.6.2002)

Die einzelnen Kapitel werden vom herausgeber Christfried Tögel eingeleitet, in den biograpfschen Kontext eingeordnet und abgekürzte Personnamen in Fußnoten erläutert. Nicht nur die umfangreiche Einführung, das Korrespondenzverzeichnis und das Register sind vorbildlich, durch die 152 Abbildungen - meist handelt es sich um die Wiedergabe alter Fotos und Postkarten - wird das Buch auch zu einem bibliophilen Genuss.

Till Bartels
 

Der Standard (29.6.2002)

Daß wir Freuds Spuren vor allem in Italien und Griechenland rund ein Jahrhundert später so genau nachvollziehen können, ist vor allem der überaus präzisen Edition Christfried Tögels zu danken. Das Buch ist ein Reiseführer der besonderen Art, lädt ein, auf den Spuren "Sigis" Italien zu entdecken, seine Kunstschätze, Baudenkmäler, Speisen ("man wird so materiell") und Weine. Vor allem die Weine, rote wie weiße, die auch die Triebe, schamhaft angedeutet, zu ihrem Recht kommen lassen: "Man ist auch immer ein bißchen - vom Wein."

Walter Grünzweig
 

Literaturen (Juli / August 2002)
 

Freuds Ideal war es, "die drei Leidenschaften Psychoanalyse, Archäologie und Reisen miteinander zu verbinden", schreibt Christfried Tögel in der so informativen wie unprätentiösen Einleitung, die von dem Vergnügen an ihrem Unternehmen geprägt ist, ohne dass sie Freuds diverse neurotische Reise-Ticks unterschlägt, jedoch auch ohne sie zu "überanalysieren".

Caroline Neubaur
 

Focus (8.7.2002)

Es ist ein Vergnügen, Freuds Reisebriefe und Postkarten an die Familie zu lesen. So lernt man ganz nebenbei ihn selbst kennen, seine Marotten, seine Neugier, seinen Blick auf die Dinge selbst, seine Ausdauer, Selbstanklagen, seine Lust, sich zu inszenieren.

Verena Auffermann

Frankfurter Allgemeine Zeitung (13.7.2002)

Der Band mit seinen Reisebriefen aus den Jahren 1895 bis 1923 ist ein unverhoffter, hinreißender Cicerone in die Welt von gestern, wie sie ein genialischer Schreiber von Postkarten und gelegentlichen launigen Exkursen aus der Ferne seinen Lieben daheim widerspiegelt ... Sigmund Freud ist, das weiß man, ein begnadeter Briefschreiber. Der Korpus seiner Korrespondenz indes harrt noch immer der breiten Erschließung. Ein aufregender Schritt in diese Richtung sind die jetzt erschienenen Reisebriefe an seine Familie ... Im Reisendürfen erfüllt sich Sigmund Freud der Traum seiner Kindheit - zu schön, um wahr zu sein. Ihre untergründige Demut und ihre liebenswürdige Klugheit machen diese jetzt edierten Nachrichten aus der Fremde zum anrührenden und elektrisierenden Erlebnis, weit über die Neugier auf ihren Absender hinaus: Denn wer ein Herz hat, dem zeigt es doch nach dem Süden - beim nächsten Mal mit diesem Buch im leichten Gepäck.

Rose-Marie Gropp