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Neuere Hypothesen

Jede Wissenschaft fußt auf einer Tradition,
auch denn, wenn sie diese ablehnt.

Wolf von Siebentel

Den direktesten und auch stärksten Einfluß übte Freud auf seine Schüler und Nachfolger aus. Die bekanntesten unter ihnen sind Carl Gustav Jung und Alfred Adler. Weitere psychoanalytische Traumtheorien stammen von Wilhelm Stekel, Harald Schultz-Hencke, Werner Kemper, Eckart Wiesenhütter und Günter Ammon. Wir verzichten hier auf deren Darstellung, unterscheiden sich doch alle . diese Theorien nicht wesentlich von der Freuds. Der manifeste Trauminhalt ist verschlüsselter Ausdruck unbewußter Vorstellungsinhalte. Daß Jung z. B. über Freud hinaus ein kollektives Unbewußtes und dessen

Archetypen (das sind nach Jung von unseren Vorfahren ererbte Vorstellungen) anerkennt und in seine Traumtheorie einfließen läßt, ändert an der Sache nichts Entscheidendes.

Wir wollen uns hier auf diejenigen Ansätze beschränken, die im Gefolge der Diskussion um Freuds Traumauffassung wirklich neue Gesichtspunkte liefern bzw. die in der wissenschaftlichen Welt auf größeres Interesse gestoßen sind.

Unverständliche Träume aus Zeitmangel?

Freud war davon ausgegangen, daß in jedem Traum eine Anknüpfung an die Erlebnisse des letztabgelaufenen Tages aufzufinden ist. Der bekannte Schlaf- und Traum-

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forscher Urs Jovanovic hält den Traum überhaupt für eine Reproduktion des produktiven Lebens am Tage. Sein Ausgangspunkt ist die Einteilung des 24-Stunden-Rhythmus des Menschen in drei Komponenten (Jovanovic 1976) :

1. das Wachsein die Produktion,
2. das Schlafen die Energiespeicherung,
3. das Träumen die Reproduktion.
Die ersten beiden Komponenten sollen uns hier nicht interessieren. Von der dritten wissen wir, daß wir nur etwa 100 Minuten pro Nacht zum Träumen zur Verfügung haben (vgl. dazu S. 63ff.). Im Wachzustand dagegen verbringen wir durchschnittlich 16 Stunden. Wenn wir nun das in diesen 16 Stunden Erlebte in nur 100 Minuten reproduzieren müssen, , so geht das nur, wenn vieles herausfällt, weggelassen wird oder mehrere Elemente des Tageserlebens zu einem verdichtet werden. Aus dieser Tatsache nun, nämlich daß dem Menschen für die Reproduktion des Wachlebens in seinen Träumen viel weniger Zeit zu Verfügung steht als für das Wachleben selbst, erklärt Jovanovic das von Freud als "Traumarbeit" bezeichnete Phänomen. Wir erinnern uns: Die Traumarbeit verschlüsselt die latenten Traumgedanken zum manifesten Trauminhalt, und ihre wichtigsten Vorgänge sind Verdichtung und Verschiebung.

Die Theorie von Jovanovic erklärt also den von der psychischen Aktivität des Wachseins doch recht unterschiedlichen Charakter des Traums aus einem Man Mangel an Zeit. Dieser Zeitmangel kann dann für uns unverständliche, bizarre und verzerrte Träume verantwortlich gemacht werden.

Mit dieser Hypothese kann wohl die Existenz einer wie auch immer gearteten Traumarbeit plausibel gemacht werden, nicht jedoch ihre Wirkungsweise. Denn warum gerade dieses Element bei der Reproduktion wegfällt und nicht jenes oder warum die verbleibenden Elemente gerade so zusammengesetzt werden und nicht anders, wird durch Zeitmangel nicht verständlich. Jovanovic er-

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hebt allerdings auch nicht den Anspruch, mit seiner Theorie das Zustandekommen des spezifischen Trauminhalts erklären zu können. Sein Ansatz stellt eben keine psychologische Erklärung des Trauminhalts dar, sondern ist eine Hypothese über das Zustandekommen der formalen Charakteristika des Traums.

Träume aus der Schublade

Es ist eine gesicherte Tatsache, daß im Traum Eindrücke aus den frühesten Lebensaltern erscheinen können, die unser Gedächtnis im Wachen nicht zur Verfügung hat. Auf diese interessante Erscheinung ist schon von vielen Autoren im 19. Jahrhundert hingewiesen worden, und Freud hat daraus eine wichtige Rolle frühester Kindheitserlebnisse für die Traumbildung abgeleitet.

Bis vor kurzem war jedoch nicht klar, auf welchem Mechanismus dieses Phänomen beruhte. Wie konnte dem Traumgedächtnis etwas zugänglich sein, von dem wir im Wachzustand überhaupt nichts wissen?

Seit 1980 existiert nun eine Theorie, die auf psychophysiologischer Ebene die Kapriolen unseres Gedächtnisses zu erklären versucht. Wir wollen diese Theorie die "Schubladentheorie" nennen. Wieso?

Die Autoren dieser Theorie, Martha Koukkou und Dietrich Lehmann, nehmen an, daß die Information, die in unserem Gehirn gespeichert ist, nur dann abrufbar ist wenn wir die "Schlüssel" zu den entsprechenden Speicherplätzen besitzen (Koukkou und Lehmann 1980). Die Schlüssel sind in diesem Fall bestimmte Zustände de Gehirns. Laut Koukkou und Lehmann kann eine Erinnerung nur dann abgerufen werden, wenn sich das Gehirn in dem gleichen funktionellen Zustand befindet, in de die Erinnerung gespeichert wurde. Das heißt, die Schublade lade öffnet sich nur, wenn wir den Kode kennen, der sie verschlossen hat.

Was hat das nun mit unseren Träumen und den Kindheitserinnerungen zu tun?

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Sehr viel! Es hat sich nämlich gezeigt, daß der funktionelle Zustand des Gehirns während des Schlafs des erwachsenen Menschen mit den funktionellen Zuständen des Wachseins während der Kindheit vergleichbar ist. Das bedeutet, daß während des Traums die Schubladen, in denen unsere Kindheitserinnerungen verwahrt liegen, zugänglich sind. Besonders eindrucksvoll wird dieses Phänomen in dem Buch "Schlüssel des Glücks" des sowjetischen Dichters Michail Soschtschenko geschildert: Der Autor identifiziert in seinen Träumen sogar Motive aus seinem Säuglingsalter, zu denen er im Wachzustand keinerlei Zugang hatte. Hier ein Beispiel:

Ein stürmischer dunkler Fluß, trübes, fast schwarzes Wasser. Im Wasser schwimmt etwas Weißes, ein Blatt Papier oder ein Lappen. Ich bin am Ufer. Ich renne, so schnell ich kann, vom Ufer weg, flüchte übers Feld . Das Feld ist aus irgendeinem Grunde blau. Jemand jagt hinter mir her und will mich schon an den Schultern packen. Seine Hand berührt mich bereits. Ich stürze vorwärts und entkomme" (Soschtschenko 1977, S.171). Zuerst ist dem Dichter der Sinn dieses Traums völlig unklar. Nach vielem Grübeln und angeregt durch ein Gedicht von Alexander Blok kommen ihm dann erste Einfälle, und er schreibt: "Dann glaubte ich meinen Traum verstanden zu haben. Er bezog sich zweifellos auf die Säuglingszeit. Um ihn zu begreifen, mußte man sich von den gewohnten Vorstellungen lösen, mußte man in den Bildern des Säuglings denken, mit seinen Augen sehen ... Der trübe stürmische Fluß ist die Wanne oder der Zuber mit dem Wasser. Das blaue Ufer ist die Decke. Der weiße Lappen die Windel, die im Zuber geblieben ist. Das Kind ist aus dem Wasser geholt worden, in dem man es gebadet hat. Das Kind ist ,gerettet`. Doch die drohende Gefahr ist geblieben" (ebenda, S.173).

Mit ihrer Schubladentheorie können Koukkou und Lehmann aber nicht nur das Auftreten von Kindheitserinnerungen im Traum erklären, sondern sie wenden sie auch auf die formalen Charakteristika des Traums an. Unverständliche und bizarre Träume kommen dadurch

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zustande, daß das in der Kindheit gespeicherte Gedächtnismaterial im Traum abgerufen wird und nach dem Erwachen vom Erwachsenen entsprechend seiner Denkstrategie interpretiert wird. Mit anderen Worten: Der wache Erwachsene kann seine Träume deshalb nicht verstehen, weil sich sein Gehirn nach dem Erwachen in einem ganz anderen funktionellen Zustand als während des Traums befindet. Soschtschenko hat das intuitiv begriffen und hat deshalb zielgerichtet trainiert, "in Bildern des Säuglings zu denken, mit seinen Augen zu sehen".

Eng mit diesem Problem verbunden ist auch die Frage des Vergessens von Träumen, für die die Schubladentheorie auch eine Antwort bereit hält: Beim langsamen Erwachen, also beim Übergang von einem funktionellen Zustand des Gehirns in einen anderen, ist natürlich der Kode für die Traumschublade nicht mehr verfügbar. Die Schublade schließt sich langsam, und wenn wir richtig munter sind, haben wir den Traum vergessen. Diese Hypothese stimmt gut mit experimentellen Befunden überein, die ausweisen, daß mit zunehmendem Abstand vom Traum immer weniger erinnert wird (vgl. dazu S. 63ff.).

Träumen wir nur mit dem halben Gehirn?

Seit reichlich zwanzig Jahren gibt es eine Richtung in der Neurophysiologie bzw. -anatomie, die sich mit der experimentellen Untersuchung der unterschiedlichen Funktionen der beiden Gehirnhälften des Menschen beschäftigt. Es ist sehr schwierig, darüber eine Aussage zu machen, denn beide Gehirnhälften (Hemisphären) i sind durch sogenannte Kommissurenbahnen miteinander verbunden. Durch diese Kommissurenbahnen wird das Zusammenspiel beider Großhirnhemisphären gewährleistet. Durchtrennt man nun durch Operation diese Verbindungen (Kommissurotomie), so erhält man zwei von-

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einander isolierte Gehirnhälften, und es läßt sich mit Hilfe psychologischer Experimente feststellen, auf welche Weise jede Gehirnseite arbeitet. Zuerst wurde die Durchtrennung der Kommissurenbahnen bei Affen und Katzen durchgeführt, seit etwa fünfzehn Jahren auch am Menschen, und zwar an Patienten mit schwerer Epilepsie (durch das Zentralnervensystem ausgelöste Krampfanfälle). Durch diese Operation konnten die Ärzte Anfallsfreiheit dieser epileptischen Patienten erreichen. Die an auf diese Art und Weise operierten Personen durchgeführten psychologischen Experimente zeigten nun, daß jede Gehirnhälfte ihre eigenen Wahrnehmungen, Erfahrungen und Erinnerungen besitzt, die für die andere Hälfte so gut wie nicht zugänglich sind. Die Funktionsweise der sogenannten dominanten Hemisphäre bei Rechtshändern die linke, bei Linkshändern die rechte wird in der Regel mit analytisch umschrieben, d. h., diese Gehirnhälfte arbeitet vorwiegend zergliedernd, denkt logisch und übersetzt die wahrgenommene Umwelt in Sprache; mit einem Wort, die dominante Hemisphäre arbeitet ganz und gar rational.

Die Arbeitsweise der anderen Gehirnhälfte, der subdominanten Hemisphäre, kann dagegen als eher emotional oder gefühlsbetont bezeichnet werden. Charakteristisch für sie ist eine nichtsprachliche Widerspiegelung der Umwelt, eine synthetische, ganzheitliche Erfassung komplizierte Zusammenhänge auf vorwiegend anschaulicher Ebene.

Dazu ein Beispiel: Personen mit durchtrennten Kommissurenbahnen können Bilder, die nur mit der linken Gesichtsfeldhälfte wahrgenommen wurden, nicht beschreiben, da die rechte Gehirnhälfte diese Bilder nicht in Worte umsetzen kann. Sie kann es deshalb nicht, weil sich die Sehnerven im Gehirn kreuzen, und zwar so, daß die der linken Gesichtsfeldhälfte in die rechte Hemisphäre gelangen und die der rechten Gesichtsfeldhälfte in die linke. In den unterschiedlichen Funktionsweisen der beiden Großhirnhemisphären sahen einige Wissenschaftler nun

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eine Analogie zu der Verschiedenheit psychischer Vorgänge im Wachen und im Traum. Sie nahmen an, daß die subdominante Gehirnhälfte, also die, die eher bildhaft, emotional und ganzheitlich arbeitet, für den Traum verantwortlich ist. Und in der Tat scheinen experimentelle Ergebnisse diese Annahme zu bestätigen:

Während des Traums ist die elektrische Aktivität in der subdominanten Hemisphäre viel größer als in der dominanten, und die elektrische Aktivität an der Verbindungsstelle zwischen beiden Gehirnhälften fällt fast auf Null ab. Das bedeutet, daß während des Traums die subdominante Hemisphäre die aktive ist und keine Verbindung zwischen ihr und der dominanten Gehirnhälfte besteht. Es ist genau diese Tatsache, die den amerikanischen Traumforscher David Bakan zu der Behauptung veranlaßte: "The right brain is the dreamer", (Bakan 1976). (Die rechte Gehirnhälfte ist der Träumer.) Für Linkshänder kehren sich die Verhältnisse um, da aber die meisten Menschen Rechtshänder sind, hat Bakan seine Formel für die Mehrheit geprägt. Experimentelle Untersuchungen haben nun gezeigt, daß sich Kommissurotomiepatienten so gut wie nicht an ihre Träume erinnern. Und eben darin liegt die Bestätigung der Hypothese: Auch wenn diese Patienten träumen, kann die Information über den Traum wegen der fehlenden Verbindung nicht von der rechten in die linke Gehirnhälfte gelangen, die allein in der Lage ist, das Geträumte verbal auszudrücken. Die kärglichen Erinnerungsreste, die berichtet werden, stammen offenbar von der geringeren psychischen Aktivität der linken Hälfte während des Schlafs.

Träume und Riesenzellen

Auf die Frage nach der Entstehung der Träume sind sehr viele und recht verschiedene Antworten gegeben worden: Die einen sehen die Ursachen der Träume in "unfertigen, unausgedachten Gedanken", die im Gehirn

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des Menschen einen Ausweg suchen; die anderen sehen in Wünschen die treibende Kraft der Träume, aber man kann auch Riesenzellen für sie verantwortlich machen.

Zwei amerikanische Wissenschaftler, Robert MacCarley und Allan Hobson (1977) haben letzteres versucht. Ihrer Auffassung nach sind Träume nichts anderes als die Folge der Aktivierung der Riesenzellen im Bereich der Brücke (die "Brücke" ist der mittlere Teil des Hirnstamms). Diese Riesenzellen reizen bestimmte Bereiche des Gehirns. Werden von den Riesenzellen z. B. diejenigen Hirngebiete gereizt, die für das Sehen und die Augenbewegungen zuständig sind, so wird diese Information dann an andere Zentren weitergeleitet, die dann passende visuelle Vorstellungen erzeugen, um eine "Begründung" für diese Bewegung zu liefern.

Mit dieser Auffassung wird die Funktion des Traums auf die Rechtfertigung sinnloser physiologischer Impulse reduziert, d. h., der Traum wird sozusagen als Abfallprodukt physiologischer Aktivierungszustände betrachtet. Diesen Vorwurf offenbar vorausahnend, erklären die beiden Autoren, daß sie zwar das Hauptgewicht auf unser "derzeitiges physiologisches Wissen" legen, aber keineswegs ausschließen wollen, daß persönliche oder individuelle Elemente in den Trauminhalt eingehen. Das ist jedoch ein Gemeinplatz: Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, was in der Wirklichkeit vorhanden ist. Woher, wenn nicht aus dem persönlichen oder individuellen Leben, stammt denn das Traummaterial?

Wir wollen an dieser Stelle ganz eindeutig festhalten: Das psychische Traumgeschehen hängt nicht in der Luft, sondern wird von einer Vielzahl physiologischer Aktivitäten begleitet, auf die wir im nächsten Kapitel noch eingehen werden. Man muß aber sehr wohl überlegen, was hier Ursache und was Folge ist oder ob zwischen physiologischen und psychischen Prozessen überhaupt eine Kausalbeziehung besteht. MacCarley und Hobson scheinen sich über solche Fragen keine Gedanken gemacht zu haben. Und auch die Mehrzahl ihrer Leser

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nicht, denn sonst hätte ihre Theorie nicht ein solch breites internationales Echo finden können. Im letzten Kapitel werden wir auf die Theorie der beiden Amerikaner noch einmal zurückkommen und sehen, welche unhaltbaren philosophischen Schlußfolgerungen mit ihr verbunden sind.

Rückwärtslernen im Traum als Entrümpelung des Gehirns

Die neueste und gegenwärtig am meisten diskutierte Hypothese über die Funktion des Traums stammt von Francis Crick und Graeme Mitchison (1983). Crick ist uns nicht als Traumforscher; sondern als Biologe bekannt: 1962 erhielt er gemeinsam mit James Watson den Nobelpreis für Medizin für die von beiden angestellten Untersuchungen zur Molekularstruktur der Nukleinsäuren (Spiralstruktur der Desoxyribonukleinsäure DNS).

Gemeinsam mit seinem englischen Kollegen Mitchison schlägt Crick folgende Theorie über die Funktion des Traums vor: Im Laufe des menschlichen Lebens gehen die Zellen unseres Gehirns unzählige Verbindungen untereinander ein. Viele davon sind unzweckmäßig und unerwünscht. Die Funktion des Traums besteht nun genau darin, diese unerwünschten Verbindungen zwischen den Großhirnzellen wieder rückgängig zu machen, sie zu eliminieren. Diese Elimination geschieht ihrer Meinung nach durch einen Mechanismus des "Rückwärtslernens", der die einmal eingelernten unerwünschten Verbindungen wieder auflöst. Mit anderen Worten: Das falsch Gelernte wird im Traum wieder "zurückgelernt" , nicht einfach nur vergessen. Funktion dieses Rückwärtslernens ist die "Sauberhaltung" des Gehirns, d. h. die Entrümpelung von falschen Verbindungen. Solche falschen Verbindungen sind nach Meinung der Autoren z. B. Wahnideen bzw. Schizophrenien. Und in der Tat: Schon Robert (1886) hatte vor 100 Jahren die Vermutung ausgesprochen, daß Menschen, denen man die Fä-

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higkeit nehmen würde, zu träumen, geistesgestört werden müßten, da sich in ihrem Gehirn eine Menge unfertiger Gedanken ansammeln würde; und in neuester Zeit konnte auch experimentell nachgewiesen werden, daß künstliche Traumunterdrückung zu psychischen Störungen führt.

Außerdem sind Crick und Mitchison der Meinung, daß sich ohne den "Klärmechanismus" des Traums das menschliche Gehirn überhaupt nicht zu der hochkomplexen Struktur hätte entwickeln können, die es nach Jahrtausenden Evolution tatsächlich heute besitzt.

Die Hypothese der beiden Forscher ist recht originell und scheint auch einiges zu erklären, z. B. die Ergebnisse der Traumunterdrückungsversuche (vgl. dazu S. 63ff.). Allerdings hat sie auch ein paar "Haken": Erstens gehen Crick und Mitchison von dem von MacCarley und Hobson behaupteten Mechanismus der Traumentstehung aus, nehmen also an, daß Träume die Folge der Aktivierung von Riesenzellen im Bereich der Brücke sind. Damit gelten für ihre Theorie auch dieselben kritischen Bemerkungen wie für MacCarley und Hobson. Zweitens gelingt es den Autoren nicht, den von ihnen vorausgeahnten Einwand zu entkräften, daß ihre Theorie ein im Gehirn wohnendes "intelligentes Männchen" voraussetzt, das entscheidet, welche Zellverbindungen im Gehirn "unerwünscht" sind und welche "erwünscht".