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Traum und Parapsychologie

Ich bin weit davon entfernt, im Traum eine
Ankündigung der Zukunft anzuerkennen, nach deren
Enthüllung der Mensch seit jeher mit allen
unerlaubten Mitteln vergeblich strebt.

Sigmund Freud


 

Blicke in die Zukunft?

Das Interesse der Parapsychologie konzentriert sich im wesentlichen auf sogenannte telepathische und prophetische Träume. Diese Art von Träumen werden von den Vertretern der Parapsychologie als Ausdruck spezieller Fähigkeiten betrachtet: Telepathische Träume übertrügen Gedanken` Gefühle und Empfindungen von einer Person auf eine andere ohne Vermittlung der uns bekannten Sinnesorgane. Prophetische Träume, auf dar anderen Seite, könnten zukünftige Ereignisse voraussagen, deren Eintreten nicht auf Grund unserer Erkenntnisse erwartet werden kann. Natürlich darf das vorausgesagte Ereignis auch nicht Folge des es ankündigenden Traums sein.

Das Problem steht und fällt mit der Frage, ob es tatsächlich telepathische und prophetische Träume gibt. Überblickt man die Literatur, so scheint daran kein Zweifel zu bestehen (vgl. S.11 ff.). In mindestens jedem zweiten Buch über den Traum werden Berichte über solche Art von Träumen durch absolut glaubwürdige Gewährspersonen" wiedergegeben. Wir sollten solche Berichte allerdings mit Vorsicht genießen. Wenn wir von den Träumen absehen, die ihre Erfüllung schon deshalb nach

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sich ziehen, weil sie schon die Absicht des Träumers zum Ausdruck bringen (wie bereits erwähnt bei den Kriegen im Alten Orient oder dem Traum Bismarcks), dann müssen wir sehr harte Vorbedingungen für die Feststellung der Existenz prophetischer Träume annehmen. Der um die Traumforschung sehr verdiente Wolf von Siebenthal ( 1953, S. 456) nennt z. B. folgende Kriterien für den tatsächlichen Nachweis eines prophetischen Traums:

1. Drei voneinander unabhängige Fachleute (2 Psychologen und ein Arzt) müssen den Traum vor seiner Erfüllung registrieren.
2. Die Person des Träumers darf an dem angekündigten Ereignis in keiner Weise beteiligt sein.
3. Das Eintreffen des Ereignisses darf nicht mit anderen Mitteln voraussagbar sein.
4. Zeitpunkt, Ort und handelnde Personen müssen präzise aus dem Traum hervorgehen.
5. Das prophetische Ereignis muß ohne Wissen oder Beeinflussung der daran beteiligten Personen registriert werden, möglichst von Personen, die von dem Traum nichts wissen.
Wir müssen aber ganz eindeutig feststellen` daß keiner der in der Literatur beschriebenen sogenannten oder scheinbaren prophetischen Träume diesen Kriterien standhält. Das gleiche gilt auch für telepathische Träume: Ein Beweis für die tatsächliche Existenz dieses Phänomens" ist bisher nicht erbracht worden.

Denkfehler

Wir wollen hier nicht einzelne Beispiele diskutieren und die Unhaltbarkeit parapsychologischer Behauptungen nachweisen. Das ist schon vielfach getan worden. Viel interessanter erscheint uns die Frage, wieso trotz zahlreicher Nachweise ihrer Unhaltbarkeit das Interesse an

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Parapsychologie und damit auch an prophetischen und telepathischen Träumen so groß ist. Sind die Menschen tatsächlich so unkritisch, daß sie alles ihnen als wahr und existierend Vorgestellte für bare Münze nehmen? Welches sind die Mechanismen, auf die sich die Popularität der Parapsychologie in den meisten westlichen, aber auch in einigen sozialistischen Ländern gründet?

Einige Aspekte, die zur Aufklärung dieser Fragen beitragen können, wollen wir hier besprechen.

Erstens. Gewöhnlich wird nicht zwischen parapsychologischen Erscheinungen, deren Existenz zweifelhaft ist, und Erscheinungen, deren Realität zwar bewiesen, deren Wesen aber noch ungeklärt oder nur zum Teil erforscht ist, unterschieden. So bei den Träumen. Ihre Existenz bezweifelt niemand, doch wegen der Schwierigkeiten ihrer experimentellen Erforschung gibt es immer noch keine allgemein anerkannte und befriedigende Theorie über sie. Oder nehmen wir die Röntgenstrahlen. Ihr Wesen war lange Zeit unklar, ihre Existenz wurde jedoch nicht bestritten. Deshalb ist es nicht möglich,

Parallelen zwischen behaupteten, aber nicht festgestellten parapsychologischen Erscheinungen und z. B. der Entdeckungs- und Erklärungsgeschichte der Röntgenstrahlen zu machen. Leider sind sich viele Leute darüber nicht im klaren, und die Parapsychologen benutzen diese Lage: Sie werfen Erscheinungen wie Suggestion und Hypnose, deren psychophysiologische Mechanismen relativ gut erforscht, der breiten Öffentlichkeit jedoch unbekannt sind, mit den von ihnen behaupteten übernatürlichen Phänomenen zusammen und suggerieren: Wenn es so etwas wie Hypnose gibt, mit deren Hilfe man solche wundersamen Dinge machen kann, wieso soll es dann nicht auch telepathische und prophetische Träume geben?

Zweitens. Die Vertreter der Parapsychologie benutzen geschickt eine wissenschaftliche Terminologie als Kompensation für fehlende Beweise. Außerdem wird durch

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die Verwendung der Statistik und Mathematik der Eindruck erweckt, daß die Ergebnisse ihrer Experimente statistisch abgesichert sind. In der Regel jedoch entsprechen die von den Parapsychologen statistisch bearbeiteten Daten nicht den Anforderungen der statistischen Tests, d. h., man wendet diese Tests auf Daten an, für die sie überhaupt nicht gedacht sind. Hinzu kommt, daß die Vertreter der Parapsychologie meistens vergessen, daß eine statistische Korrelation (Zusammenhang) keine Ursache-Wirkungs-Beziehung beschreibt. Wenn das so wäre, könnte man mit Hilfe der Statistik auch beweisen, daß die Störche die Kinder bringen, denn parallel zur Abnahme der Störche in Europa sinkt auch die Geburtenhäufigkeit.

Drittens. In der Psychologie ist die sogenannte sich selbst erfüllende Prophezeiung ein bekanntes Phänomen. Es äußert sich darin, daß die Prophezeiung selbst das angekündigte Ereignis hervorruft. Wenn also jemand Datum und Ort seines bevorstehenden Todes träumt und dann auch tatsächlich unter den geträumten Angaben stirbt, so ist das keineswegs ein Beweis für prophetische Träume, sondern zeigt lediglich, in welch drastischer Weise die Psyche des Menschen physiologische Vorgänge beeinflussen kann. Ein eindrucksvolles Beispiel in dieser Hinsicht erwähnt Klumbies (1974, 5.308): "Plötzlicher Herztod wurde in neuer Zeit von einem zum Tode verurteilten Verbrecher im Sing-Sing bekannt. Der elektrische Stuhl versagte im entscheidenden Moment, der Delinquent aber war tot."

Dieses und auch viele andere Beispiele zeigen, daß es keineswegs harmlos ist, wenn Wahrsagerinnen Verschlechterungen oder Verbesserungen des Gesundheitszustandes voraussagen. Im ersten Fall kann die Verschlechterung tatsächlich als Folge der Voraussage eintreten, im zweiten kann eins aus den gleichen Gründen eintretende Verbesserung das Fortschreiten einer ernsten organischen Erkrankung verschleiern. Aus der Psychotherapie sind Fälle bekannt, bei denen therapeu-

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tische Gespräche eine entscheidende Besserung des subjektiven Befindens herbeigeführt haben, eine unerkannte organische Erkrankung aber gleichzeitig zur objektiven Verschlechterung des Gesundheitszustandes geführt hat.

Viertens. Leider fallen "gesunder Menschenverstand" und Logik nicht immer zusammen, hört man doch häufig Überlegungen folgender Art zugunsten parapsychologischer Erscheinungen: Nun gut, viele der Ergebnisse und Behauptungen der Parapsychologie sind zweifelhaft, aber alle zusammengenommen sind doch schon ein schlagkräftiges Argument für die Existenz parapsychologischer Erscheinungen; nun gut, keiner der berichteten telepathischen oder prophetischen Träume erfüllt die Kriterien der Objektivität, aber es werden soviel solcher Träume berichtet, daß doch was dran sein muß.

Aus logischer Sicht ist eine derartige Argumentation völlig unhaltbar, da sie von der Annahme ausgeht, daß mit steigender Anzahl zweifelhafter Berichte deren Richtigkeit zunimmt.

Ein weiterer Denkfehler ist die Gleichstellung von Denkmöglichkeit und Wirklichkeit. Freud hat diesen Fehler durch folgende witzige Geschichte zu veranschaulichen versucht: "Im Tempel zu Krakau sitzt der große Rabbi N. und betet. mit seinen Schülern. Er stößt plötzlich einen Schrei aus und äußert, von den besorgten Schülern befragt: ,Eben jetzt ist der große Rabbi L. in Lemberg gestorben. Die Gemeinde legt Trauer um den Verstorbenen an. Im Laufe der nächsten Tage werden nun die aus Lemberg Ankommenden befragt, wie der Rabbi gestorben, was ihm gefehlt, aber sie wissen nichts davon, sie haben ihn bei bestem Wohlbefinden verlassen. Es stellt sich endlich als gesichert heraus, daß Rabbi L. in Lemberg nicht zu jener Stunde gestorben ist, in der Rabbi N. seinen Tod telepathisch verspürte, da er immer noch weiter lebt. Ein Fremder ergreift die Gelegenheit, einen Schüler des Krakauer Rabbi mit dieser Begebenheit auf-

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zuziehen: ,Es war doch eine große Blamage von eurem Rabbi, daß er damals den Rabbi L. in Lemberg sterben erwiderte der Schüler, "der Kück von Krakau bis nach Lemberg war doch großartig" (Freud, Studienausgabe , Bd. IV, 5.62).

Freud erläuterte an Hand dieses Beispiels einen Trick, den viele Parapsychologen täglich benutzen: Die Faszination, die von Gedankenübertragung oder Zukunftsvorhersage ausgeht, wird zum Argument für die tatsächliche Realisierbarkeit solcher "Fähigkeiten".

Fünftens. In letzter Zeit berufen sich Parapsychologen in westlichen Ländern oder Vertreter der sogenannten Psychobiophysik (wie Spirkin aus der Sowjetunion) in zunehmendem Maße auf den Materialismus. Eben dieser Spirkin ist ein Verfechter der Möglichkeit von Psychokinese, d. h. der Bewegung von Gegenständen nur durch die Anstrengung der Gedanken. Durch starke Konzentration könnten Leute, die die Fähigkeit der Psychokinese besitzen, Streichholzschachteln schweben und Papierkörbe auf sie zukommen lassen. Spirkin ist nun zutiefst von dem "materiellen Wesen" dieser Erscheinungen überzeugt und hebt hervor, daß es außerhalb des Materialismus überhaupt keine Erklärung dieses Phänomens geben könne (Spirkin 1980, S.18).

Hier werden natürlich zwei Dichotomien miteinander vermischt: materialistisch idealistisch und wahr falsch. Damit wird der Eindruck erweckt, daß das Ausgehen von materialistischen Positionen die Existenz parapsychologischer Erscheinungen garantiert. Es muß aber ganz eindeutig festgestellt werden, daß eine materialistische Hypothese noch lange keine wahre Hypothese ist. Materialität allein sichert noch keinen Anspruch auf Wahrheit. So ist z. B. die Behauptung "Der Mond ist aus Käse" unzweifelhaft eine materialistische Hypothese; trotzdem wird wohl niemand behaupten, daß sie wahr ist.

Die Berufung auf materialistische Philosophie ist nichts mehr als ein Versuch der Parapsychologen, ihre

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eigene berufliche Existenz zu sichern (vgl. dazu Tögel 1984) .

Wir hätten natürlich neben diesen Überlegungen auch eine Reihe von Experimenten anführen können, die die Unhaltbarkeit von Telepathie oder Zukunftsvorhersage beweisen. Zum Beispiel haben Taylor und Balanovsky (1979) in einem Artikel der Zeitschrift "Nature" berechnet, daß die für Gedankenübertragung nötige Energie bei weitem die Leistung der vom Gehirn ausgesandten und empfangenen elektromagnetischen Wellen überschreiten müßte. Außerdem können Parapsychologen wohl kaum die Frage beantworten, wie ein Mensch mit paranormalen Fähigkeiten in der Lage sein sollte, die in seinem Gehirn eingehende Information zu entschlüsseln, denn Gedanken werden ja nicht in Form von Schallwellen übertragen.

Aber auch noch so viele negative Experimente können die Parapsychologen und ihre Anhänger nicht von der Unhaltbarkeit ihrer Behauptungen überzeugen, denn wie schon Friedrich Engels in seinem äußerst lesenswerten Artikel "Naturforschung in der Geisterwelt" feststellte, ist "bloße Empirie unfähig, diejenigen zu überzeugen, die schon soweit von den angeblichen Phänomenen eingefangen sind, daß sie nur das sehen, was sie sehen sollen oder sehen wollen" (Engels l962, 5.346). Engels empfiehlt deshalb "theoretisches Denken", und Freud hat an einem eindringlichen Beispiel die Kraft theoretischer Überlegungen dargestellt:

In seiner Schrift "Traum und Okkultismus" diskutiert Freud das Für und Wider parapsychologischer Hypothesen und wählt zur Verdeutlichung ihres Charakters eine Analogie. Er schreibt: "Nehmen wir an, es handle sich um die Frage nach der Beschaffenheit des Erdinnern. Bekanntlich wissen wir nichts Sicheres darüber. Wir vermuten, daß es aus schweren Metallen im glühenden Zustand besteht. Nun stelle einer die Behauptung auf, das Erdinnere sei mit Kohlensäure gesättigtes Wasser, also eine Art Sodawasser. Wir werden gewiß sagen` das ist sehr unwahrscheinlich, widerspricht allen unseren Er-

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wartungen, nimmt keine Rücksicht auf jene Anhaltspunkte unseres Wissens, die uns zur Aufstellung der Metallhypothese geführt haben. Aber undenkbar ist es immerhin nicht; wenn uns jemand einen Weg zur Prüfung der Sodawasserhypothese zeigt, werden wir ihn Ohne Widerstand gehen. Aber nun kommt ein anderer mit der ernsthaften Behauptung, der Erdkern bestehe aus Marmelade! Dagegen werden wir uns ganz anders verhalten. Wir werden uns sagen, Marmelade kommt in der Natur nicht vor, es ist ein Produkt der menschlichen Küche, die Existenz dieses Stoffes setzt außerdem das Vorhandensein von Obstbäumen und von deren Früchten voraus, und wir wüßten nicht, wie wir Vegetation und menschliche Kochkunst ins Erdinnere verlegen könnten; das Ergebnis dieser intellektuellen Einwendungen wird eine Schwenkung unseres Interesses sein, anstatt auf die Untersuchungen einzugehen, ob wirklich der Erdkern aus Marmelade besteht, werden wir uns fragen, was es für ein Mensch sein muß, der auf eine solche Idee kommen kann" (Freud, Studienausgabe, Bd. I , 5.472f.).

Wir haben Freud so ausführlich zitiert, weil sein Beispiel sehr eindrücklich zeigt, was theoretisches Denken uns alles ersparen kann: Um festzustellen, daß der Erdkern nicht aus Marmelade ist, brauchen wir nicht 6000 km tief ins Erdinnere zu bohren. Wollen wir jedoch etwas über seine genaue Zusammensetzung erfahren, bleiben uns empirische Untersuchungen nicht erspart.

Natürlich liegen die Dinge bei der Parapsychologie nicht so einfach, aber im Prinzip entsprechen alle ihre Behauptungen der "Marmeladenhypothese".